Herzlich willkommen!

Vor etwa 43 Jahren haben wir die Schule beendet.
Diese Seite zeigt Erinnerungen und Fotos aus dieser Zeit.
Außerdem enthält sie eine Adressenliste
sowie Informationen und Bilder der Klassentreffen.

Rückblick

Sommer 1969. Unsere Einschulung begann mit einer Feier in der Turnhalle. Wir wurden einzeln auf die Bühne gerufen. Der Weg durch den Mittelgang, vorbei an den vielen Menschen, fiel nicht jedem leicht. Anschließend gingen wir Hand in Hand über den Schulhof in unser Klassenzimmer. Unsere Schulzeit begann mit einem Märchen der Gebrüder Grimm, die Gänsemagd. Zur Erinnerung: … Also versprach das der Schindersknecht zu tun, hieb den Kopf des Pferdes ab und nagelte ihn unter das finstere Tor fest. Des Morgens früh, da sie und Kürdchen unterm Tor hinaustrieben, sprach sie im Vorbeigehen: „O du Falada, da du hangest", da antwortete der Kopf: „O du Jungfer Königin, da du gangest, wenn das deine Mutter wüßte, ihr Herz tät' ihr zerspringen." Da zog sie still weiter zur Stadt hinaus, und sie trieben die Gänse aufs Feld …

Anschließend bekam jeder von uns ein Blatt und wir holten das erste Mal unsere Stockmar Wachsmalstifte aus dem Tornister. Die Aufgabe bestand darin, eine krumme und eine gerade Linie zu malen. So entstand vor jedem von uns ein „CI“, was uns für immer prägen und in Erinnerung bleiben sollte. Anschließend gaben wir das Blatt ab und waren immer noch sehr aufgeregt, als die Eltern uns wenig später in Empfang nahmen.

Wir brauchten eine Zeit lang, um uns an diesen neuen Lebensabschnitt zu gewöhnen. Aber es gab auch andere Dinge in dieser Zeit, die aufregend und irgendwie anders waren: der erste Märklin Baukasten, das Bonanzarad oder Clicker, das Spiel mit den zwei Kugeln an der Schnur, mit dem man sich einen Splitterbruch am Ellenbogen einfangen konnte, wenn man sich ungeschickt genug anstellte. Und als Jungen lernten wir, dass Fußballspielen an der Schule geächtet und verboten war. Warum, ist bis heute unklar.

Neu war auch das Flötenspiel. Zweiundvierzigstimmig traten wir bei Monatsfeiern auf, den gestrickten Flötenbeutel um den Hals und begeisterten Mitschüler wie Eltern. Neben einer soliden musikalischen Ausbildung lernten wir auch, dass neben Klassik eigentlich keine andere Musik existierte. Fast hätten wir diese These angenommen. Doch als später in den Partykellern Schallplatten von T.Rex, Sweet, Harpo oder Deep Purple liefen, wurde manch einer nachdenklich, obwohl die Unterscheidung einfach war: Alles was Rhythmus hatte, war keine Klassik, denn diese kannte nur den Takt. Warum es dann Trommeln im Musikzimmer gab, wusste keiner. Ein Besuch heutiger Monatsfeiern zeigt, dass es auch anders geht: Mit E-Gitarre, Schlagzeug, Klavier und Chor werden Lieder von ABBA gesungen – und die gab es damals schon.

Wer glaubt, wir wären lammfromm gewesen in unserer Jugend, der irrt. Eurythmielehrerinnen vergraulen galt als beliebte Spielart. Ich gebe zu, wir waren, was das betrifft, rücksichtslos damals, wobei ich mir sicher bin, dass es nicht am Fernsehen lag. Wir hatten Flipper, Fury, die Waltons, Daktari, Wickie und die Raumpatrouille also nichts, was die Aggressionslust geschürt hätte. Vielleicht war es doch die Strahlendosis alter Schwarz-Weiß-Fernseher, der seitens der Lehrerschaft eine Wirkung nachgesagt wurde, bei der selbst Wilhelm Conrad Röntgen leuchtende Augen bekommen hätte. Oder es waren die orange-roten Tapeten der 70er Jahre, die zu Hause an den Wänden klebten. Wenn man lang genug draufstarrte, brauchte man keine Drogen. Minuten später schlenderte man beseelt in die Küche, um eine afri-cola zu trinken. Beim Blick auf die Kühlschranktür dann ein Déjà-vu-Erlebnis – obwohl das eigene Augenpaar lediglich eine Gruppe Pril-Blumen entdeckt hatte. So oder ähnlich konnte es einem ergehen in einer Zeit, in der HB-Männchen in die Luft gingen, Männer sich auf der Suche nach einer Zigarette Löcher in die Schuhe liefen und Achselschweiß ohne 8x4 nicht zu bekämpfen war, womit wir bei der Pubertät wären. Diese ereilte manch einen heftiger, als er und seine Eltern es erwartet hätten. Reichte es in der Unterstufe, wenn einem der zwei Meter große Kunstlehrer auf dem Schulflur wegen Rumschreiens eine knallte, wäre diese Maßnahme jetzt fruchtlos verhallt. Nach dem Leitsatz „wer Mist macht muss Mist schaufeln“ wurde man auch schon mal auf einen Bauerhof geschickt. Außerdem wurden wir ab der Oberstufe gesiezt in der Hoffnung, diese Art Aufwertung setze einen längst fälligen Reifeprozess in Gang. Statt „Heinz, du tickst wohl nicht richtig!“, hieß es ab sofort: „Heinz, Sie spinnen wohl!“

Derlei moderne Umgangsformen trafen nicht immer ihr Ziel und stellten die Beteiligten vor Aufgaben, die unlösbar waren, wie manche Aufgabe unseres Mathematiklehrers. Das war der Mann mit der ausgefallenen Nagelpflege: Einmal links geknipst, dann rechts geknipst und statistisch war ein Nagel geschnitten, selbst wenn in der Mitte eine Spitze übrig blieb … von wegen statistische Unschärfe! Aber um noch einmal auf die Unlösbarkeit zurückzukommen: Immerhin ist ihm dieses Dilemma noch während der Klausur aufgefallen. Pech für den, der bis dahin kostbare Zeit an dieser Stelle verschwendet hatte. Hier passt ein Zitat des bereits erwähnten Kunstlehrers: „Kunst kommt von Können und nicht von Wollen, sonst hieße es Wunst“, auch wenn hier – sicherlich unwissend – Joseph Goebbels zitiert wurde, der mit diesem Satz die moderne (abstrakte) Kunst zu diffamieren suchte. Davon abgesehen ist die Satzaussage inhaltlich falsch, weil nicht jeder, der rechnen kann, auch ein Künstler ist. Kunst setzt Können voraus, aber Können allein reicht nicht, um Kunst zu erschaffen. Goethe hat es so formuliert: „Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen“. Na also, es geht auch anders.

Unterm Strich ist aus jedem von uns etwas geworden. Wir haben das Rasen mit frisierten Mofas und später das Fahren mit dem ersten Auto (ob mit oder ohne Führerschein) genauso überlebt wie den Sprung vom Schul- ins Berufsleben. Mitschüler anderer Waldorfschulen waren unter anderem Rainer Werner Fassbinder, Nastassja Kinski, Heiner Lauterbach oder Sandra Bullock. Ein Teil unserer Kinder besucht heute ebenfalls Waldorfschulen. In diesen Fällen sind wir als Eltern in bester Gesellschaft mit Beate Uhse, Jean-Paul Belmondo, Clint Eastwood, Friedrich Dürrenmatt, Max Frisch oder Nina Hagen. Seit vielen Jahren veranstalten wir in regelmäßigen Abständen Ehemaligen-Treffen. Unser Klassenlehrer hat uns nach Beendigung der Schulzeit das Du angeboten, was ein weiterer Hinweis darauf ist, dass etwas mehr dran gewesen sein muss an der Zeit in unserer Schule, als gemeinhin üblich.

Thilo Ruhland 9/11/2006